Mein Dorf

von Gisela Kulinna

Mein Dorf liegt nicht an der großen Straße.
Hinein führt nur ein einziger Weg.
Und nur auf dem komm ich hinaus oder laufe
Hänge hinab, dunkel vom Wald, quellig vom Wald,
des größeren sucht.
Mein Dorf liegt nicht an der großen Straße und ist zu finden
wenn du es suchst.

Feldwege sind mir die liebsten Wege.
Begehbar in Stiefeln und barfuß auch.
Feldwege kann ich alleine gehen.
Strassen sind tot, wenn mir keiner begegnet.

Ich brauch das Flüstern vom Bach unterm Eis
und Schnee der weiß bleibt, richtig weiß.
Ich brauche das Gras, das der Wind zu mir weht,
wenn am Abend die Hintertür offensteht.

Hier geht keiner stumm an mir vorbei,
und kein Blick und kein Wort bleibt mir einerlei.
Hier weiß ich, wer auf ein Kind sich freut
und wer schwer atmend, das Rauchen bereut.

Hier kenn ich die Schürze von jeder Frau.
Und wer abends gern liest, das weiß ich genau.
Jedes Kindergesicht hier ist mir vertraut,
und ich weiß, wer Musik hört, ein bißchen zu laut.

Ich brauche das Dorf mit den buckligen Gassen
und Margeriten in weißgelben Massen.
Ich brauche das Häcksler Gebrumm im Klee
und aus frischem Kraut den Pfefferminztee.

Aus der Anthologie "Das Lied der Schnitter"(1986).
Gisela Kulinna ist Mitglied der "Neustädter Autoren e.V."